5 Fragen an Anja: was wir zu Beckenbodentraining und Stillen wissen sollten

Stillen und Beckenboden

Anja Sippel aka @dorf_mutti auf Instagram habe ich wirklich nur durch Zufall und Netzwerk mal wieder kennengelernt. Denn uns trennen eigentlich gute 400 km. Ich habe alle ihre Kurse gemacht (alle selbst bezahlt! Unbeauftragte und unbezahlte Werbung), habe mega viel gelernt, bin froh sie nun in meinem Netzwerk zu wissen und sie für ein Interview gewinnen zu können. Aber lest selbst, was der Beckenboden und das Stillen verbindet: 

Hey Anja! Dich habe ich ja witzigerweise über Jana und Dani im großen weiten Internet gefunden und war praktischerweise gerade mit meinem vierten Kind schwanger. Beckenbodentraining IN der Schwangerschaft? Das war mir neu. Ich dachte ja immer, den trainiert man hinterher, aber doch nicht schwanger. Neugierig und alles mitnehmend, was geht in der vierten und ziemlich wahrscheinlich letzten Schwangerschaft, buchte ich Deinen Kurs – und war ziemlich beeindruckt.

Anja Sippel

Sag doch mal, warum lohnt es sich schon in der Schwangerschaft einen Beckenbodenkurs zu machen?

Ich nehme eine große Unsicherheit darüber wahr, ob nicht Beckenbodentraining in der Schwangerschaft hinderlich sei für die Geburt. Ein ganz klares Nein, im Gegenteil, wenn du ein ganzheitliches Beckenbodentraining während deiner Schwangerschaft – oder besser noch, bereits davor machst, ist es sogar förderlich! In Studien wurde weder eine erhöhte Kaiserschnittrate, noch eine erhöhte Dammverletzungsrate festgestellt (Barakat 2011), sondern vielmehr eine Reduzierung der Dammschnittrate und Verkürzung der Austreibungsphase (Morkved 2003).

In der Schwangerschaft wird außerdem durch die Hormone das Gewebe im Becken (und ganzen Körper) weicher und gleichzeitig erhöht sich durch das steigende Gewicht die Belastung auf dem Beckenboden. Durch ganzheitliches Beckenbodentraining kannst du deinen Beckenboden in seiner Arbeit unterstützen, um akute Beschwerden zu lindern und  unfreiwilligem Urinverlust nach der Geburt vorzubeugen (Woodley SJ et al. 2020). Eine bessere Wahrnehmung für den Beckenboden hilft dir zudem nach der Geburt deinen Beckenboden wieder leichter finden und zu trainieren. Sind das nicht tolle Aussichten!?

Ja mega! Was kann ich in der Schwangerschaft in Bezug auf meinen Beckenboden schon mal beachten? Hast Du Tipps für den Alltag?

Ich bin ein großer Fan von der Haltung und Atmung. 😀 Über diese beiden Dinge kannst du schon so viel machen, das denkt man oft gar nicht! Du kannst sie leicht in den Alltag einbauen und es hat gerade in der Schwangerschaft, wo sich die Haltung und Atmung verändert, einen großen Einfluss. Mein Lieblingsbild ist sich vorzustellen, dass der Kopf ein Gasluftballon sei und Richtung Himmel schwebt. So kommst du mühelos in eine aufrechte Körperhaltung und entlastest den Beckenboden und Beckenorgane vom Druck nach unten. Dann den Bauch locker zu lassen und die Atmung um das Baby herum fließen zu lassen, fördert eine entspannte Bauchatmung und bereitet auch schon gut auf die Geburt vor, in der du auch toll die Atmung als Unterstützung nutzen kannst.

Weitere Alltagstipps zum Heben etc. habe ich für dich in einem kostenlosen E-Book zusammengestellt.

Cool Danke! Und dann ist das Kind da. Ich weiß noch, dass alle meine Hebammen relativ zügig mit Übungen ankamen, die ich machen sollte. Wie ist das denn, lieber schnell nach der Geburt anfangen oder erst noch warten? Und wie lange warten?

Die Geburt ist eine großartige Höchstleistung von dir und deinem Beckenboden. Das vergessen wir oft, wenn uns der Alltag mit Baby und Geschwisterkind(ern) kurz danach wieder packt. Aber bitte denke daran, er sollte sich die erste Zeit ausruhen und wieder zu seiner Kraft finden dürfen. Das wird er dir danken! Du tust  dir und deinem Beckenboden einen Gefallen, wenn du dein Wochenbett WochenBETT sein lässt und dich hinlegst (nicht im Bett sitzt!). Dazu gibt es einen schönen Merksatz: Eine Woche im Bett, eine Woche auf dem Bett und eine Woche ums Bett herum. Wenn du das im Hinterkopf hast, super! Wenn wir realistisch sind, lassen sich aber manche Belastungen nicht vermeiden. Das Leben ist, wie es ist 😉 Die Alltagstipps helfen dir, die Belastung möglichst beckenbodenschonend durchzuführen.

Was du auf jeden Fall schon machen kannst, ist wieder Kontakt mit deinem Beckenboden aufnehmen. Das heißt, die Atmung dorthin fließen lassen und spüren, wie er sich mit der Atmung bewegt. Das bringt alles sanft in Bewegung und unterstützt die Regeneration, denn häufig besteht auch ein zu verspannter Beckenboden reaktiv nach der Geburt (auch wenn man sich das nicht vorstellen kann, aber das taste ich tatsächlich öfters). Da ist es gut, ihm wirklich erst einmal Zeit zu geben, wahrzunehmen und zu entspannen. Weniger ist im frühen Wochenbett mehr!

Was ist für das Wochenbett noch wichtig zu wissen?

Nach der Geburt kann es sein, dass du die Blasenfüllung erst einmal nicht mehr so wahrnimmst wie vorher. Es können Nerven überdehnt worden sein, die das Empfinden dafür weiterleiten. Aber keine Sorge, das kommt in den allermeisten Fällen wieder. Gib dir Zeit. Gehe hier regelmäßig alle 2-3 Stunden auf die Toilette, damit deine Blase sich nicht zu sehr füllt. Wenn sich das nicht bessert oder du das Gefühl hast, dich nicht vollständig entleeren zu können, dann lasse das bitte von deiner Hebamme und/oder ÄrztIn abklären!

Im Bezug aufs Stillen – Beckenboden und Stillen – sag mal, was kann ich da beachten? Vielleicht auch im Hinblick auf einen Kaiserschnitt oder größere Geburtsverletzungen. Da muss ich oft mit den Frauen schauen, welche Positionen gehen. Hast Du Tipps?

Für den Beckenboden ist es im frühen Wochenbett günstig, zu liegen, also auch in einer liegenden Position zu stillen, vor allem wenn das Stillen gefühlt die halbe Nacht dauert. Wenn Seitlage aus verschiedenen Gründen nicht geht, solltest du schauen, dass du vor allem auf die aufrechte Körperposition achten kannst, also dich im Sitzen gut mit Stillkissen etc unterlagerst und einen Stuhl hast, mit dem du gut die Füße auf den Boden stellen kannst und dich möglichst aufrecht anlehnen kannst. Je aufrechter du sein kannst, desto weniger Druck geht nach unten. Einen guten Kompromiss zu finden ist da sehr wertvoll.

Erzähl doch mal bitte was zu der Sache mit den Hormonen, die durch das Stillen ausgeschüttet werden und die Muskulatur -also auch den Beckenboden und die Rumpfmuskulatur- weicher machen. Was müssen wir hierüber wissen? Beeinflusst das Stillen die Rückbildung?

Das Stillen fördert die Hormonausschüttung von Oxytozin. Durch das Saugen des Babys an der Brust wird es ausgeschüttet. So fördert es die Rückbildung der Gebärmutter. Je mehr Kinder du hast, desto mehr merkst du das in den Nachwellen. Beim dritten Kind fand ich das schon ziemlich, wie soll ich sagen, beeindruckend. Durch das Hormon Relaxin bleibt das Gewebe in der Stillzeit noch weich. Das ist der Grund, warum du mit high impact Sportarten (Hüpfen, Joggen, etc.) und exzessivem Dehnen auch nach dem Rückbildungskurs noch vorsichtig sein solltest. Aber genau wie die Menge der Milch wird auch die Hormonausschüttung über den Bedarf reguliert. Du kannst dir also vorstellen, dass du nach drei Jahren stillen nicht mehr eine gleiche Hormonlage hast, wie in der Rückbildung. Somit ändert sich auch schon die Gewebefestigkeit langsam. Es gibt also keinen Grund deshalb abzustillen! Viele Frauen berichten, dass es noch 6 Monate nach dem Abstillen dauert, bis sie wieder eine vermehrte Festigkeit im Gewebe und Beckenboden spüren. Du kannst also nach dem Abstillen auch noch einen kleinen Festigkeitsschub erwarten.

Ist was an dem Mythos dran, dass Beckenbodentraining in der Stillzeit die Milchproduktion oder den Milchfluss stört?

Ich habe schon oft den Tipp gehört, dass man während man stillt kein Beckenbodentraining machen sollte, da Stillen ein Öffnungsprozess, Milch soll fließen, ist und Beckenbodentraining durch die Anspannung ein “schließender” Prozess sei. Ich denke, wenn du Beckenbodentraining richtig ausführst, sollte es gerade nicht ein Schließen im Sinne von Verkrampfen, sondern eine geschmeidige Bewegung sein, die die Durchblutung und Elastizität steigert und damit kein Problem sein. Allerdings kann ich mir schon vorstellen, dass, wenn manche Frauen Stillprobleme haben, es schwer ist, sich noch auf etwas anderes zu konzentrieren und dann in dieser Phase erst einmal nichts nebenbei gemacht werden sollte. Was sagst du als Stillberaterin?

Sehe ich genau wie Du. Gerade durch die Erfahrungen in Deinen Kursen habe ich gelernt, dass Beckenbodentraining noch viel mehr ist, als beim Zähne putzen anspannen und bis 10 zählen. Aber ja, wenn das Stillen am Anfang sehr herausfordernd ist, kann alles andere – auch das Zähne putzen 🥴 – zusätzlich belasten. Dann heißt es, eins nach dem anderen, Besenstrich für Besenstrich.  Oder ist es irgendwann zu spät für Beckenbodentraining?

Nein! Der Beckenboden kann wie jeder andere Muskel auch ein Leben lang trainiert werden!

Was möchtest Du allen Frauen (vor allem Stillenden) zum Beckenboden sagen:

Zeit für mehr Beckenbodenliebe: Lasst ihn uns aus dem Tabu herausholen und zu unserer kraftvollen und gefühlvollen Mitte machen! Es schwirren sehr viele Mythen und Unsicherheiten zum Thema Beckenboden umher. Lasse dich am besten von einer Fachexpertin und nicht von Mister Google beraten. Auch ein Rückbildungskurs ist leider nicht immer auch ein beckenbodenfreundlicher Kurs, auch wenn du das erwarten würdest. Schaue auch da, was für Zusatzqualifikationen die Kursleiterin hat und ob sie sich im Bereich Beckenboden fortgebildet hat.

Wenn du Beschwerden hast, zögere nicht, eine Beckenbodenphysiotherapeutin zu konsultieren. Je länger die Beschwerden andauern, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit auch im Alter wieder Beschwerden zu bekommen. Kein Problem ist zu klein, etwas zu tun und sich Unterstützung holen zu dürfen! Du findest hier TherapeutInnen in deiner Nähe.

Hey Anja! Hab tausend Dank! 

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