Elternsein in der aktuellen politischen Lage ist ja auch eher so uff. Ich ertappe mich selbst ständig zwischen “Ich brauche dringend eine Pause und gucke eine Woche keine Nachrichten” und “Ich verschlinge alles, was mir in die Hände kommt, weil ist ja auch irgendwie wichtig.”
Mir fehlt auch oft der Austausch mit anderen Eltern, mit meinem Mann, mit Freunden. Es ist halt nie irgendwo Zeit dazu.
Ich war schon immer ein politischer Mensch, habe mich viel engagiert, war Schülersprecherin, Vorsitzende im Jugendrat meiner Stadt und später auch an der Uni als Studierende und Mitarbeiterin. Ich habe viele Partizipationsprojekte mit Kinder und Jugendlichen durchgeführt und Veranstaltungen moderiert. Die letzten Wochen, Monate haben mich als Mutter noch mal sehr gefordert, was politische Haltung und Bildung angeht.
Politik in der Familie
Hier zu Hause leben wir beziehungs- und bindungsorientiert. Jede Stimme wird gehört, wir entscheiden gemeinsam, lernen Kompromisse einzugehen, stimmen ab, sprechen über Politik. Unterstützend finden wir Kinderbücher jeglicher Art, die ich auch schon in einem Blogartikel vorgestellt habe.
Daher bin ich sehr sehr glücklich, dass ich Christopher für dieses Format gewinnen konnte. Wir haben uns noch nie persönlich getroffen, obwohl wir gar nicht so weit entfernt wohnen. Auch ihn habe ich “damals” auf Twitter kennengelernt. Christopher ist Eltern-Coach und Autor. Hören kannst Du ihn auch im Podcast Elterngedöns. Gemeinsam mit vielen anderen Eltern haben wir uns auch bei der Familienbrandmauer engagiert.
Ich habe Christopher 5 Fragen zum Thema Elternsein in der aktuellen politischen Lage gestellt:
5 Fragen
Die Nachrichten überschlagen sich förmlich – was ist dein bester Tipp um bei sich zu bleiben und vielleicht weniger überrannt zu werden?
Das ist so ein gutes Beispiel dafür, dass Innen und Außen wichtig ist und beide Kräfte zusammenspielen. Mit Innen meine ich meine eigene emotional Verfassung, meine Gedanken und Glaubenssätze, meine Werte, meine Prägung. Mit Außen meine ich alles, was sich außerhalb von mir abspielt – in dem Fall die Politik.
Mein Tipp wäre, mir bewusst zu machen, dass das Außen und das Innen eine Rolle spielen. Ein Beispiel: Wenn ich in meiner Ursprungsfamilie gelernte habe, dass ich nicht viel bewegen kann, dann wird eine Bedrohung von Außen in mir eher ein Gefühl der Hilflosigkeit auslösen. Das heißt es wäre hilfreich, wenn ich mir meine Hilflosigkeit anschaue: Wie habe ich die erworben? Wofür war die mal gut? Und: Wie kann ich lernen, wie ich mich selbstwirksam oder machtvoll fühle?!
Allerdings wäre es fatal, wenn ich es dabei belassen würde. Das ist so eine esoterische Falle, der Gedanke “Ich muss das nur in mir auflösen. Muss nur genug meditieren, dann komm ich mit allem klar.”
Käse ist das. Denn das Außen kann ja eine konkrete Gefahr darstellen. Und dann ist es sehr sinnvoll, mich auch dieser Gefahr oder Bedrohung zu stellen – im Außen. Das gelingt mir aber um so besser, je mehr ich mir meiner eigenen innerer Prozesse bewusst bin.
Also, mein Tipp: Versuch zu verstehen, wie du innen mit deinen Gefühlen anders umgehen kannst, um dann Kraft zu haben, im Außen etwas zu verändern!
Okay, noch ein ganz praktischer Tipp, um erst etwas im Außen und dann im Innen zu verändern: Reduziere drastisch deinen Snack-Nachrichten-Konsum. Also diese Mini-News, sei es auf Instagram oder im Radio. Also nicht mehr 12 x am Tag irgendwo kurz in Schreckens-Nachrichten reinspringen und jedes Mal dein Stress-System hochjagen. Stattdessen: 1 x am Tag kontrolliert und ausführlich in News eintauchen. News, die Tiefe und Länge haben. Such dir ein gutes Nachrichtenmagazin. Investiere in Qualitätsjournalismus. Und lies dann 30 Minuten in deep. Oder kauf dir ein Fachbuch zu einem Thema und lies das.
Das beruhigt und schneidet dich gleichzeitig nicht komplett von Informationen ab. Im Gegenteil: So versorgst du dich mit Informationen, die Tiefe haben.

Ziemlich viele sind gerade wütend – was ist Dein wichtigster Gedanke zu Wut und Eltern?
Wut ist wie jedes Gefühl wertvoll – das wissen die meisten Eltern mit Blick auf ihr Kind: Alle Gefühle meines Kindes sind willkommen, auch die dunklen. Nur wenn es dann um die eigenen Gefühle geht, kommen wir Erwachsene manchmal ins Schwimmen: Ist das okay, wenn ich so wütend bin? Und wie komme ich aus diesem Gefühl wieder raus? Das ist der Zweifel, der da spricht.
Oder die andere Seite: Wenn ich wütend bin, dann habe ich das Recht, meine Wut auszudrücken – egal wie es dem anderen damit geht. Das wäre dann übersteigertes Selbstbewusstsein ohne Empathie.
Wir brauchen beides: Selbstbewusstsein und Empathie.
Was die Wut betrifft: ich sag immer, das ist unser Grenzwächter. Wie früher bei einer Burg der Wächter am Eingang. Der passte auf, dass da keine Raubritter reinkommen. Gleichzeitig durfte er nicht zu misstrauisch sein oder zu aggressiv und jedem gleich den Knüppel überziehen. Dann kommt ja keiner mehr in die Burg. Ein guter Grenzwächter hat Bewusstsein. Er kennt seine Aufgabe (Schutz) und setzt gleichzeitig seine Macht sehr bewusst ein.
So ist es auch mit unserer Wut: Wenn sie uns warnt und uns Energie gibt, das zu verteidigen, das uns wichtig ist, ist das aus meiner Sicht extrem wertvoll. Wenn wir zugleich schauen, dass wir nicht alles kurz und klein hauen.
Das geschieht meines Erachtens gerade an manchen Stellen in der großen Politik: Da wird einfach auf den anderen eingeschlagen – ohne Rücksicht auf Verlust. Ohne Rücksicht, dass wir ja noch zusammenarbeiten müssen …
Was haben tägliche Konflikte mit unseren Kindern mit der aktuellen politischen Lage zu tun?
Die angespannte politische Lage kann auf uns abfärben. Und je angespannter wir sind, desto dünnhäutiger sind wir. Desto schneller und krasser fahren wir aus der Haut – Groß und Klein. Diese dauernden Konflikte und Krisen, das überträgt sich meiner Erfahrung nach auch auf die Familie, die Eltern, die Kinder. Das geht nicht spurlos an uns vorbei. Und das dürfen wir uns auch erstmal eingestehen: Das sind herausfordernde Zeiten.
Also: Gut auf uns achten. Gut miteinander umgehen. Zeitpuffer und Inseln einbauen, wo wir auftanken können.
Wie können wir als Eltern Demokratie vorleben?
Beziehungsorientierte Elternschaft ist demokratische Elternschaft: Wir zeigen unseren Kindern ja, dass wir sie ersten sehen, zweitens wertschätzen, drittens ihre Gefühle und Bedürfnisse berücksichtigen und viertens gemeinsam eine Lösung finden. Unser Kinder lernen also, dass sie Teil von etwas sind. Das sie gesehen, wertgeschätzt und berücksichtigt werden und einen Anteil haben. Je älter unsere Kinder werden, desto mehr beziehen wir sie ein in Entscheidungen, Aufgaben und Meinungsaustausch. Das ist gelebte Teilhabe. Das ist ein praktische Demokratie-Erziehung.
Dein Kind weiß: Es ist wertvoll. Es ist Teil von etwas Größerem. Seine Stimme und Meinung zählt. Und es weiß, dass die anderen auch zählen. Dass wir gemeinsam Dinge erreichen können. Im Austausch, im Respekt und in der gemeinsamen Kreation. Denn Demokratie ist am Ende ein gemeinsamer Schaffensprozess.
Die politische Lage ist mehr als angespannt und Kinder haben feine Antennen. Was kann ich tun, um alle Gefühle in der Familie aufzufangen?
Als Elternteil ist es meine erste Aufgabe, mich um mich selbst gut zu kümmern. Das ist die Voraussetzung, damit ich mein Kind auffangen kann. Wenn ich selbst Koregulation benötige – und das brauchen wir als Erwachsene natürlich auch – dann ist es meine Aufgabe, mir die zu holen. Bei meine*m Partner*in, bei Freund*innen oder auch bei einer Therapeutin oder Coach.
Und dann braucht es für die meisten von uns Übung und Wiederholung im Alltag. Entspannungstechniken kannst du an einem Wochenendseminar lernen, in einem Retreat oder Online-Kurs, aber du musst sie dann auch leben. Das heißt in deinen Alltag integrieren. Das ist übrigens ein Grund, warum meine Programme wie „Wut, mach’s gut“ meist so drei Monate lange gehen: Damit du Zeit hast, das zu üben und in deinen Alltag zu integrieren. Es darf Zeit brauchen. Und: Wenn du etwas verändern willst, dann fang damit an. Denn: Veränderung ist möglich.
Hilfreiche Links
Wenn Du Dich auch für Familien stark machen möchtest, schau doch mal auf der Seite der Familienbrandmauer vorbei.
Der Doodleteacher hat auf Eduki kostenlose Protest Poster zum runterladen, ausdrucken und anmalen zur Verfügung gestellt.
Ganz viel Wissen, Projekte, weitere Links zur Demokratiebildung findest Du auch beim Deutschen Kinderhilfswerk.