5 Fragen an Nadine: Elternschaft und Sexualität

5 Fragen an Nadine

Hey Nadine! Wie schön, dass ich Dir zu Elternschaft und Sexualität ein paar Fragen stellen darf. Aber von vorne, stell Dich und Deine Arbeit doch mal kurz vor!

Aber gern! Ich bin studierte Psychologin und habe erst mal mein berufliches Zuhause in der Paar- und Beziehungsberatung gefunden. Besonders die Wertschätzung und Wärme, die von Carl Rogers in der klientenzentrierten Beratung zugrunde gelegt worden sind und die emotionsfokussierte Beratung nach Sue Johnson sind mir nah und wichtige Säulen meiner Arbeit. Aber auch aus anderen Ansätze der psychologischen Beratung bediene ich mich gerne zwischendurch. 

Aktuell beschäftigt mich aber eher damit, wie ich mein Wissen rund um Beziehungen mit möglichst vielen Menschen teilen kann. Das tue ich zum Beispiel über Steady, Instagram oder gebuchte Vorträge. Ich schreibe außerdem einen Newsletter, in dem ich Beziehungsfragen beantworte, also ein Bisschen wie Dr. Sommer früher, nur besser und biete Dir einen kostenlosen Beziehungsfahrplan an.

Der EINE Beziehungstipp

Wahrscheinlich wollen alle Paare DEN EINEN Beziehungstipp von Dir. Auch wenn ich mir sicher bin, die Antwort schon zu kennen – gibt es den einen?

Ha, jetzt kommt etwas, mit dem du vermutlich nicht gerechnet hast: ich hab tatsächlich einen. Und zwar neigen sehr viele Menschen dazu, bei Turbulenzen in der Beziehung die andere Person als Problemquelle zu betrachten. “Wäre er nur nicht so….”, oder “Würde sie nicht so viel/wenig/wasauchimmer”. Sich hier bewusst zu machen, dass jedes Paar ein ganz eigenes Konfliktmuster hat, was sich in Krisenmomenten fast schon auf Autopilot durchzieht und dass das Problem ist, wäre schon viel gewonnen.

Es macht nämlich einen riesigen Unterschied, ob wir gemeinsam vor einem schwierigen und belastendem Problem stehen und versuchen, es (mit Hilfe) zu lösen. Oder ob wir voreinander stehen, mit dem Finger aufeinander zeigen und den jeweils anderen als Problem verstehen. Eigentlich einleuchtend, oder? Trotzdem in der Praxis echt erstaunlich oft richtig schwer. 

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Auf die spannende Zeit der Kinderplanung und des Kinderwunsches bezogen, was würdest Du einem Paar gerne mitgeben in diese Phase?

Stress schaltet einen Teil deines Gehirns aus. Egal, ob dieser Stress aus Problemen auf der Arbeit, Beziehungskonflikten oder den teils großen Unsicherheiten und Belastungen der Kinderwunschzeit besteht: bei zu viel Stresssignalen im Körper wird die Kommandozentrale für unser Verhalten vom frontalen Cortex ins Stammhirn verlegt.

Das Gehirn schaltet ab.

Das bedeutet nichts anderes, als dass der denkende, planende und weit entwickelte Gehirnteil (der mit den guten Vorsätzen) vom Strom genommen wird. Und stattdessen die Steuerhoheit in dem Teil unseres Gehirns liegt, der Flucht, Angriff, Verteidigung oder People Pleasing kann. Einen Großteil unserer Menschwerdung waren wir als Spezies damit beschäftigt, zu überleben. Stress bedeutete immer auch Gefahr- und wenn der Säbelzahntiger vor uns steht, wäre es von großem evolutionären Nachteil gewesen, erst lange über die Ergebnisse unseres letzten Strategiegesprächs zum Umgang mit Säbelzahntigern nachzudenken. Da entscheidet unser Körper (also das Stammhirn) für uns, dass wir schnellstmöglich die Beine in die Hand nehmen und losrennen.

Diese automatischen Reaktionen sind nur teilweise zu steuern bzw. umzulenken. Und wenn unser generelles Stresslevel hoch ist, ist es oft unausweichlich, dass Stromausfall im Denkerhirn zu recht konfliktbefeuernden Reaktionen führt. Das zu wissen, kann enorm wertvoll dafür sein, sich und seine Partnerperson besser zu verstehen und manchmal auch mit Humor auf die Auseinandersetzungen zu schauen, die man nach einer halben Stunde selber schon gar nicht mehr versteht.

Sex in der Schwangerschaft. Die Lust der Schwangeren kann ja auf einer Skala von 1-10 auch von -12 bis 27 reichen. Dein Tipp dazu?

Und jetzt im Chor: wir sind alle individuell. 😉 Tatsächlich ist ein möglicher Stolperstein ja  weniger die breite Spanne als viel mehr die fehlende Übung bei vielen Paaren, über ihre Sexualität, ihre aktuelle Lust und ihre Vorlieben zu sprechen. “Du, ich würde gerade gerne mit dir schlafen. Magst du?” ist ja eine Frage, die man wohl in den wenigsten Beziehungen so ausgesprochen hört.

Stattdessen wird – mehr oder weniger subtil – die körperliche Kommunikationsebene genutzt, um die Anfrage nach gemeinsamen Sex zu stellen. Das ist generell eine ziemlich fallenträchtige Angelegenheit – in der sensiblen Zeit der Schwangerschaft fährt man damit aber noch weniger gut. Angenommen, diese Anfrage durch körperliche Avancen wird an die Schwangere gestellt und die Antwort ist nicht gerade ein lautes “Hurra”, dann sind im Grunde beide Partner in einer unglücklichen Situationen.

Auf der einen Seite entsteht das deutliche Gefühl von Zurückweisung, auf der anderen Seite entsteht schnell eine Frustration darüber, immer wieder zurückweisen, ja fast schon abwehren zu müssen. Generell in Beziehungen, insbesondere aber in der Schwangerschaft/ Stillzeit sollte die Anfrage nach gemeinsamen Sex im besten Fall vor dem direkten körperlichen Ausdruck beginnen und die Möglichkeit beinhalten, ja oder nein sagen zu können, ohne schon mit erotischer Absicht angefasst worden zu sein.

Das hat zudem den großen Vorteil, dass wenn die Antwort “Nein, gerade mag ich lieber nicht” lautet, noch gemeinsam geschaut werden kann, was stattdessen schön wäre. Ohne dass beide davon eingefangen sind, sich in ihren jeweiligen Gefühlen von Kränkung oder Frustration zu verfangen und sich erst einmal vom anderen zurückziehen müssen.

Das Kind ist da, der Eltern-Alltag plötzlich ein ganz anderer. Routinen fehlen, Zeit ist knapp. Was tun, wenn S*ex als to do auf der endlosen Liste empfunden wird?

Gar nicht so selten wird das zu einem Problemthema in der Partnerschaft – nämlich genau dann, wenn sich eben nicht beide Parteien einig sind, wie viel Sex sie miteinander haben mögen. Und in den Fällen lohnt sich ein Blick tiefer in die Dynamik hinein, denn oft ist es eine diffuse Mischung aus verschiedenen Faktoren, die hier eine Rolle spielen. Natürlich lassen sie sich in diesem Format erst einmal nur anreißen, aber manchmal hilft es ja schon, erste Anhaltspunkte abzuklopfen.

Und noch mehr Bedürfnisse befriedigen (müssen).

In meiner Einschätzung ist einer der gewichtigsten Faktoren für die Unlust insbesondere bei der Frau das Gefühl, die Partnerperson “will jetzt auch noch was von einem”. Auf der einen Seite steckt in diesem Gefühl, wie viele Aufgaben, Herausforderungen und fremde Bedürfnisse eine Mutter gerade zu Beginn eines kleinen Menschenlebens bewältigt und versorgt. Das Gefühl, dann auch noch den (erwachsenen!) Partner mit gewünschten Dingen mitversorgen zu müssen, ist oft einfach zu viel.

Durch diese Formulierung wird auch deutlich, dass gerade Frauen Sexualität als etwas erleben, was sie geben und eher für den anderen machen (sad, but true). Und dafür sind dann schlicht und ergreifend keine Ressourcen mehr da. Das muss natürlich nicht so sein, aber aus meiner Erfahrung als Paar- und Sexualberaterin heraus kann ich sagen: das ist echt nicht so selten. Wir weiblich sozialisierten Menschen sind so darauf trainiert, mit dem, was wir tun, zu gefallen, dass wir manchmal schlicht und ergreifend vergessen uns zu fragen, ob wir das eigentlich selber auch gerade mögen.

Definiere “guter Sex”.

Oder, wie ein Ausbilder von mir mal gesagt hat: die meisten Menschen wollen nicht keinen Sex. Sie wollen nur nicht (mehr) den Sex, den sie haben. Mit dem veränderten Kraft-, Schlaf- und Alleinseinverhältnis in der Stillzeit ist dann “schlechter” Sex oft eins der ersten Dinge, die dann fliegen. Das muss natürlich nicht für alle Paare gelten, aber hier kann man schon mal neugierig hinschauen.

Auch Berührungen jenseits von Sexualität wie Massagen, Umarmungen etc. sind oft mit dem Ringen um Sexualität verbunden (siehe oben, Stichwort körperliche Avancen). Um nicht ständig den Partner abweisen zu müssen, verzichten viele Frauen auch schon auf diese zärtlichen körperlichen Momente und sind unter dem Strich ganz schön unterversorgt. Kommt dann noch eine eindeutige sexuelle Anfrage, springt das Gefühl ein, schon wieder etwas geben zu müssen, obwohl man selbst doch quasi gar nichts bekommt und dann wird man… genau. Wütend. Und zwar nicht zu knapp.

Ein Thema in meinen Stillberatungen ist auch immer wieder: Sexualität in der Stillzeit. Die Stillende kann sich nicht vorstellen, gerade noch das Kind gestillt zu haben und dann im nächsten Moment intime Berührungen durch die Partnerperson zuzulassen. Wie kann der Spagat gelingen?

Ein Dauerbrennerthema bei frischgebackenen Eltern, das erlebe ich auch so. Und ein psychologisch gesehen hochkomplexes noch dazu. Zuallererst: wenn vor allem auf Seiten der gebärenden Person auch Wochen nach der Geburt eine große allgemeine Niedergeschlagenheit besteht, die nicht zuletzt auch Auswirkungen auf die Libido, also die Lust auf Sex hat, ist es empfehlenswert, in Richtung Wochenbettdepression zu denken und das abzuklären.

Darüber hinaus ist es aber auch genauso normal, wenn man einfach keinen Sex möchte. Oder ganz viel. Wenn alle Beteiligten damit fein sind, spricht ja auch überhaupt nichts dagegen, das einfach so zu gestalten, wie es passt.

4 Tipps um den Beziehungsspagat zu schaffen

Um diesen Spagat zu schaffen, würde ich also Folgendes empfehlen:

1. Benutzt Worte. Übt, euch auszudrücken, euch zu fragen. Werdet vertraut damit, die Frage “Ich möchte gerade gern mit dir schlafen- magst du auch?” direkt zu stellen.

2. Lasst körperliche Zweisamkeit auch ohne erotische Zwischentöne stattfinden. Macht nicht aus jeder Nackenmassage ein Sprungbrett für potenzielle sexuelle Interaktion. Sondern schützt den Raum für absichtslose Zärtlichkeit.

3. Prüft generell eure Lust auf (euren) Sex. Es ist völlig okay, wenn eure Libido sich vielleicht auch hormon- oder belastungsbedingt kaum oder gar nicht zeigt. Aber nehmt es nicht als selbstverständlich hin, dass euer Sex eigentlich mehr für euren Partner ist und euch vielleicht gar nicht so viel Freude macht.

4. Lasst euren Partner teilhaben. Es kann ganz schön beängstigend sein, die geliebte Partnerin plötzlich teilen zu müssen – nicht nur mit einem (weiteren) Kind, sondern auch mit allen möglichen Aufgaben und Sorgen. Je weniger Sicherheit euer Partner darin hat, dass er wertvoll ist für euch, desto eher wird er versuchen, sich diese Sicherheit über körperliche Nähe zu holen. Erlebt er hier viel Abweisung ohne eure guten Gründe zu verstehen, geratet ihr als Paar in einen Teufelskreis aus Unsicherheit und Frustration.

Generell lässt sich zusammenfassen: die Zeit der Schwangerschaft und der Stillzeit ist für die Paarbeziehung eine ganz schön aufregende Zeit. Und kann euch zu mehr Verbundenheit, Zuneigung und Nähe führen. Es gibt aber auch echt einige neue Herausforderungen, die auf euch als Paar warten und es ist immer sinnvoll, sich hier Unterstützung dazu zu holen. Alles Gute!

Wahnsinn Nadine! Vielen Dank für so viel wertvollen Input! Alle Angebote von Nadine findest Du hier.

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