Stillgeschichte: Die Dinger sind ja doch zu etwas gut.

Die Dinger sind ja doch zu etwas gut.

Mein Name ist Ravna, ich lebe mit sechs Kindern zusammen. Drei davon nenne ich Herzkinder, denn sie sind mir ans Herz gewachsen, drei davon nenne ich Bauchkinder, denn sie sind in meinem Bauch gewachsen. Diese drei Bauchkinder habe ich auch gestillt und alle Stillzeiten waren sehr verschieden.

Stillwissen

Vor meinem ersten Kind (*Q2 2014) wusste ich nichts. Ich wusste wenig über mich, wenig über das Kinder-Haben und erst recht nichts über das Stillen. Dass ich stillen wollte, das war mir klar, das war für mich irgendwie intuitiv – aber wie das funktioniert? Ich hatte keine Ahnung!

Im Laufe der Jahre, im Laufe des Stillens habe ich vieles gelernt, über mich, über das Leben mit Kindern und über das Stillen. Zum Beispiel, dass ich trans bin. Und damit fange ich mal an, denn auch wenn ich es zur Geburt meines ersten Bauchkindes noch nicht in Worte gefasst hatte, war eines mir schon länger klar:

“Ich mochte meine Brüste nicht.”

Ich mochte meine Brüste nicht. Klar, die sahen irgendwie nett aus, aber sie haben sich immer wie Fremdkörper angefühlt. Zu groß, zu schwer, immer präsent (vor allem bei Bewegung). Bei der Mens haben sie noch extra rumgenervt, Sexualpartner_innen wollten Dinge damit tun, die sie für erotisch hielten und beim Sport waren sie im Weg. Im Laufe der Zeit hatte ich mich mit ihnen arrangiert, sie mal versteckt, mal mit ihrer Wirkung auf andere gespielt – nur sie als Teil meiner Selbst empfunden habe ich nie.

Dann kam die erste Schwangerschaft. Die Dinger wurden noch größer, sie spannten, sie zwickten, sie wurden empfindlicher. Irgs!

Das erste Kind

Die Geburt des ersten Kindes war keine besonders schöne (aber das wundervolle Neugeborene half mir, darüber erstmal hinwegzusehen). Noch viel unschöner war, was ich danach im Krankenhaus erlebte. Nämlich sehr viel Druck und Stress. Das angeblich babyfreundliche Krankenhaus beschäftigte Personal, dass mich wieder und wieder dazu drängte das schlafende Kind zu wecken und anzulegen – und es klappte einfach nicht. Mindestens alle vier Stunden sollte ich es versuchen. Schon am ersten Tag wurde das Kind mehrfach gewogen um zu überprüfen, ob es schwerer würde (vor & nach dem Stillen). Das Kind hatte Stress, ich hatte Stress. Da lief gar nichts, erst recht keine Milch.

Etwa 24h nach der Geburt hatten wir endlich Ruhe. Es war mitten in der Nacht. Mein Baby gnaddelte rum, wirkte Milch suchend. Ich legte es an. Es trank. Kein „über die Fußsohle streichen, damit der Saugreflex ausgelöst wird!“, kein „vielleicht sollten wir jetzt doch mal pumpen!“, keine Person, die das Kind vor und nach dem Stillen wog. Einfach nur wir zwei, mein Baby und ich. Ich verstand auf einmal, was es heißt, ein Säugetier zu sein. Im Krankenhaus war es auch weiterhin stressig, aber als wir wieder Zuhause waren, entspannte sich alles.

Die Milch läuft.

Meine erste Stillzeit hatte einige Schwierigkeiten. Wusstet ihr, dass Katzen Menschenmilch mögen? Ich wusste das früher nicht. Aber nachdem es erstmal lief, hörte es quasi nicht mehr auf zu laufen – es sei denn, ich versuchte abzupumpen. Da versiegte alles. Meine überlaufenden Brüste waren für das Neugeborene herausfordernd und dauernd lief Milch irgendwo hin. Unsere Katzen leckten sie vom Boden auf. Einmal stillte ich, während ich zockend am PC saß, das Baby ließ kurz los und die Milch spritze über die Tastatur und auf den Monitor. Mein erstes Bauchkind war immer sehr genüsslich trinkend oder an meiner Brust nuckelnd. Es trank, während ich schlief, es trank in der Trage und an manchen Tagen habe ich selbst auf dem Klo gestillt, weil das Baby sonst nicht ruhig war.

Aufgrund meines sehr starken Milchflusses und der damit einhergehenden Stillschwierigkeiten wandte ich mich auch an eine Stillberaterin von LaLecheLeague, die mich mit Geduld und Erfahrung beriet.

Während mein Baby dank meiner Milch wuchs und gedieh, änderte sich mein Verhältnis zu meinen Brüsten. Zum ersten Mal empfand ich sie nicht einfach nur als störende Dinger an meinem Körper, sondern als etwas Nützliches, Positives. Meine Brüste nährten mein Kind! Mehr als ausreichend!

Erst mit etwa neun Monaten begannen wir sehr gemütlich mit babygesteuerter Beikosteinführung.

Das zweite Kind

Ich wurde rasch wieder schwanger. Nach zwei sehr dicht aufeinander folgenden Fehlgeburten wuchs mein zweites Bauchkind in mir heran, während das erste noch immer an mir dran weiterwuchs. Ich stillte die ganze Schwangerschaft hindurch und noch lange in die Babyzeit des zweiten Bauchkindes (*Q2 2016) hinein. Kurz nach dem dritten Geburtstag des ersten Bauchkindes, beschloss ich, dass ich keine Lust mehr hatte auf Kleinkind an meiner Brust. Ich redete mit dem Kind. Wir einigten uns darauf, dass es „Still-Gutscheine“ bekam, erst fünf, dann drei, dann einen. Mit einem konnte es je eine Stillmahlzeit bekommen. Trost-Stillen nach Stürzen oder Ähnlichem gab es unabhängig davon weiterhin. Das klappte ziemlich gut und pünktlich zum Kindergartenbeginn war mein erstes Stillkind abgestillt und ich mit meinem dritten Bauchkind schwanger.

Tandem Stillen

Die Stillbeziehung zu meinem zweiten Bauchkind war ganz anders. Das Kind nahm die Brust in den Mund, saugte fünf Minuten lang kräftig, spuckte dann die Hälfte wieder aus, nahm die andere Brust, spuckte die Hälfte wieder aus und war fertig. Mit circa. 15 Monaten und damit vor dem ersten Bauchkind stillte es sich zu Beginn der Schwangerschaft mit meinem dritten Bauchkind selbst ab.

Gerade zu Beginn der Stillbeziehung war das für mich schwierig – auf der einen Seite mein kleines Genießerchen, auf der anderen Seite das Neugeborene, das so ganz anders trank. Ich machte mir Sorgen, ob das Tandem Stillen für das Neugeborene schwierig war oder ob die Milch nicht „richtig“ war, weil das ältere Geschwister auch noch trank. Und lernte rasch, dass beides Quatsch ist. Es war einfach nur ein anderes Kind und eine andere Stillbeziehung. Unsere Beziehung war dadurch nicht weniger innig, das Kind kuschelte stundenlang auf und an mir, die ersten sechs Monate seines Lebens schlief es ausschließlich an oder auf meinem Bauch – nur eben ohne Brust im Mund.

Das dritte Kind

Mein drittes Bauchkind war bezüglich der Stillbeziehung ein bisschen wie aus dem Lehrbuch. Es trank etwa alle vier Stunden für etwa 20 Minuten, von einigen Phasen mit Cluster-Feeding einmal abgesehen. Anders als die anderen zwei Kinder stillte ich dieses Kind aber sehr viel mehr von mir ausgehend ab. Als es etwa eineinhalb Jahre alt war, beschloss ich, dass ich mit einer Testosteron Behandlung beginnen wollte – natürlich ohne dabei zu stillen. Auch ansonsten war einiges in dieser Stillbeziehung anders: denn mein drittes Bauchkind akzeptierte Pre-Milch und Flasche absolut problemlos, so dass ich das nächtliche Stillen schon nach wenigen Monaten dem Papa überlassen konnte, der das liebevoll tat. Überhaupt war es für dieses Kind kein Problem, wenn meine Brüste nicht verfügbar waren – Flasche vom Papa gereicht war genau so super wie Brust von mir. Sogar Abpumpen klappte! Das war nach den viereinhalb Jahren des fast durchgängigen Stillens eine große Wohltat. Ich konnte einfach mal weg sein, war nicht die Hauptnahrungsquelle, sondern einfach eine der möglichen Nahrungsquellen. Pre-Milch zum Einschlafen war auch eine der besten Hilfen beim Abstillen und noch länger Teil des Einschlafrituals oder Trostspender, auch als ich nicht mehr mit meinen Brüsten stillte.

Alle drei Stillbeziehungen waren auf ihre Art schön und gaben mir zum ersten Mal ein rundum positives Gefühl über meine Brüste: Die Dinger sind ja doch zu etwas gut. Und auch wenn sie noch immer mein Körpergefühl stören und ich das ändern möchte, kann ich seitdem deutlich liebevoller auf sie blicken.

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