Steffi Hein ist Trageberaterin, Fotografin, Kursleiterin und Mama von zwei (Trage-)Kindern. Sie liebt das Tragen und lebt es tagtäglich mit ihrer Familie. 2020 hat sie die Ausbildung zur Trageberaterin gemacht und gibt ihr Wissen mit Herz und Seele weiter. Alle Infos über Steffi und ihr Angebot findest du auf ihrer Seite, auf Instagram und TikTok.
Heute darf ich Steffi einige Fragen zum Thema Tragen in der Tragehilfe oder dem Tuch stellen.
Warum macht stillen in Tuch, oder Tragehilfe überhaupt Sinn?
Das Stillen mit dem Tragen zu kombinieren kann unglaublich praktisch sein, besonders, wenn man ein Baby hat, was sich nicht gerne ablegen lässt und nur mit Körperkontakt schlafen kann. Außerdem hat das Tragen aufgrund der Ausschüttung von Oxytocin eine positive Wirkung auf die Milchbildung. Das „Kuschelhormon“ wird in Situationen liebevoller Zuwendung ausgeschüttet. Es ist zudem der Gegenspieler des „Stresshormons“ Cortisol und hilft damit aktiv Stress zu senken, was ebenfalls beim Stillen eine große Rolle spielen kann.
Oh ja das kann ich bestätigen. Ich rege auch immer an eine Oxytocin Massage zu machen oder viel Haut an Haut zu kuscheln, wenn die Milchbildung nicht so richtig in Gang kommen will. Naja und schön ist es ja auch!
Außerdem ist es sehr diskret. Ich habe mir am Anfang unserer Stillbeziehung nicht vorstellen können, frei in der Öffentlichkeit zu stillen. In der Trage ist es ganz unauffällig machbar. Ein weiterer Vorteil ist die Bewegungsfreiheit; besonders, wenn es Geschwister gibt, die „Mamazeit“ brauchen, ist es einfach praktisch.
Hilfreich ist das aufrechte trinken auch für Babys mit Reflux, weil hier die Schwerkraft bzw. die aufrechte Position von Vorteil ist. Apropos hilfreich, auch „Still-Turner“ trinken in der Tragehilfe, auf Grund der Enge oft besser und sind nicht so sehr abgelenkt.
Klassisch ist auch um den 5./6. Monat, wenn die Kinder „zappeliger“ werden und einfach abgelenkt sind von der Welt. Da ist dann nichts mehr mit ruhig auf dem Arm liegen und stillen wie in der Hochglanzbroschüre. Da empfehle ich auch gerne mal das Stillen beim Tragen auszuprobieren. Meistens klappt das dann nämlich ganz gut.
Welche Trage brauche ich denn dafür? Klappt das mit allen?
Rein theoretisch ja, aber wir wissen ja alle, dass zwischen Theorie und Praxis Welten liegen können. Tragehilfen sind ähnlich individuell, wie Jeans, das heißt, dass es durchaus sein kann, dass das Stillen in der einen Tragehilfe besser klappt, als in der anderen.
Oftmals wird das Stillen in Fullbuckle Tragehilfen, also Tragen mit Schnallen an Bauchgurt und Schulterträgern, als einfacher empfunden, weil hier keine Tuchstränge gelöst und anschließend wieder gebunden werden müssen. Allerdings kann es hilfreich sein, die Tragehilfe ein Stück zu der Seite zu drehen, an der gestillt werden soll, was wiederum in einer Halfbuckle (Tragehilfe, bei der die Schulterträger gebunden werden) einfacher sein kann.
Jedes System hat also sein für und wider. Deswegen ist es ratsam, sich einfach mal ein bisschen durchzuprobieren.
Geht es auch im Tragetuch? Und wenn ja, welche Bindeweisen eigenen sich dafür am besten?
Ja, das Stillen im Tuch funktioniert ähnlich, wie bei den Tragehilfen. Aber auch hier, muss man seine Lieblingsbindeweise finden. Besonders gut eignet sich die Wickelkreuztrage, der Klassiker, und das Känguru. Diese lassen einen unkomplizierten Zugriff auf die Sitzhöhe des Babys zu.
Was muss man beachten? Wie funktioniert das Stillen in der Trage?
Das Grundprinzip ist bei Tuch und Tragehilfe das gleiche. Das Baby muss abgesenkt und zur Brust gebracht werden. Dafür müssen Schulterstränge bzw. – träger gelockert werden. Es braucht in beiden Fällen stilltaugliche Kleidung, die einen einfachen Zugriff ermöglicht. Wenn man vorher noch versuchen muss einen Pulli zwischen Kind und Brust hochzuziehen, wird das beim Tragen eher schwierig.
Nun muss man individuell schauen, wie tief man das Baby absenken muss. Es ist häufig hilfreich, die Trage ein wenig zu der Seite zu drehen, an der gestillt wird. Bei großen Brüsten hat sich ein gerollter Waschlappen, ein Spucktuch, oder ähnliches unter der Brust zum stützen bewährt und natürlich könnt ihr eure Brust auch halten, während des Stillens.
Auch, und besonders, bei gelockerter Trage ist es ganz wichtig darauf zu achten, dass das Baby gut gestützt ist und sicher in der Trage sitzt. Schläft es beim Stillen ein, korrigiert bitte unbedingt die Trage, um die Atmung zu jeder Zeit zu sichern (Mund und Nase müssen sichtbar sein).
Gibt es ein bestimmtes Alter des Kindes, indem es besonders gut, oder schlecht funktioniert?
Auch hier ist es wieder ganz individuell. Ich denke, grade am Anfang, wenn die Stillbeziehung noch nicht sicher etabliert ist, kann es schwierig werden. Auch auf Grund der Tatsache, dass die Babys zu dem Zeitpunkt, in der Regel, noch keine allzu große Körperspannung haben bzw. den Kopf nicht längere Zeit alleine halten können. Je größer und „stabiler“ das Baby wird, desto einfacher wird es für gewöhnlich auch.
Es gibt bei Babys, ähnlich zum „Stillstreik“, auch immer mal wieder Phasen, in denen sie nicht gerne getragen werden. Und wer sich grade ärgert, weil er in der Trage „eingekerkert“ ist, wird wohl auch wenig Lust auf Stillen haben. Aber auch hier kann man ganz schwierig eine allgemeine Aussage treffen.
Stillen und Tragen – eigentlich ja auch DAS Match schlechthin. Gibt es aber auch Situationen oder Konstellationen, in denen Du es gar nicht empfehlen würdest?
Hier kann ich nur aus der Sicht der Trageberaterin sprechen. Es gibt tatsächlich Situationen, in denen das Tragen keine gute Idee ist; unter anderem immer dann, wenn man sich dazu nicht in der Lage fühlt. Habt ihr also eine Geburt hinter euch, die euch viel abverlangt hat, dann gönnt euch die Ruhe und kommt zu Kräften.
Das Stillen in der Trage, oder dem Tuch, muss sich einspielen. Manches, was heute so überhaupt nicht funktionieren will, kann in drei Wochen auf einmal ganz einfach sein. Was ich damit sagen will ist, dass wenn das Stillen beim Tragen bzw. der Weg dahin, zu Stress wird, solltest du dir den Druck raus nehmen.
Ich wäre zudem vorsichtig, bei empfindlichen Brüsten, im Bezug auf Milchstau. Hier ist es wichtig, dass die Trage/ die Bindeweise passt. Läuft die Kopfkante des Tuchs zu straff über die Brust und wird dann auch noch länger getragen, kann das bei anfälligen Frauen, zu Verhärtungen führen. Achtung hier auch bei Fullbuckle Tragehilfen, deren Schultergurte am Rückenteil befestigt werden. Auch hier laufen die Gurte über die Brust und können so sehr unangenehm werden.
Das kann ich nur bestätigen und bekräftigen, denn das gilt auch fürs Stillen: Was heute total unmöglich und schwierig erscheint und man vielleicht auch alles hinwerfen möchte, kann drei, vier Wochen später schon wieder TOTAL anders aussehen. Geduld und Ausdauer gehören manchmal tatsächlich einfach dazu. Und das Aushalten, dass es gerade ist, wie es ist.
Kann denn jede Frau in der Trage/ im Tuch stillen?
Verallgemeinerungen sind ja immer so ein Ding. Ich würde deshalb ganz klar sagen: Jein. Die erste Frage, die man sich hier vielleicht stellen sollte, ist: Muss denn jede Frau beim Tragen stillen? Und dann sind wir und unsere Babys ja alle ganz verschieden und genauso individuell sind unsere Mechanismen, unseren Alltag zu leben.
Und apropos Individualität: Hier kommen, wie beim Stillen, ohne Trage, auch viele Dinge zusammen. Welche Form hat die Brust? Wie stabil ist das Baby? Wie gut komme ich mit meiner Tragehilfe zurecht? Es gibt Punkte, an denen ihr euch Unterstützung suchen könnt, wenn es für euch wichtig ist, aber manchmal, soll es einfach nicht so sein.
Ich glaube aber auch, dass mehr Frauen in der Trage/ im Tuch stillen könnten, wenn sie dran bleiben und sich und ihrem Baby vielleicht ein bisschen mehr Zeit geben würden.
Vielen Dank liebe Steffi! Das waren sehr wertvolle Impulse!