Ich bin Aline, stille mein erstes Kind (8Monate) seit der Geburt. Meinen Mutterschutz wollte ich bestmöglich nutzen und habe neben dem Besuch eines Geburtsvorbereitungskurses auch mehrere Bücher zu den Themen Geburt, Gender, Wochenbett und Stillen gelesen. Bereits davor war mir klar, dass ich stillen möchte, ziemlich eingeprägt hat sich dabei jedoch der Satz, dass man das Baby bereits bei frühen Hungerzeichen anlegen solle und es bei späten Hungerzeichen (Schreien) eigentlich bereits ‚zu spät‘ sei.
Ja, es stimmt, du solltest bei den ersten Hungerzeichen anlegen. Aber danach ist es nicht einfach „zu spät“. Wenn wir Hunger haben, suchen wir uns auch zeitnah was zu essen, stehen wir im Stau oder sind noch unterwegs, sagen wir beim Essen angekommen ja auch nicht „Mist, wollte was essen, hatte Hunger, aber nun ist es zu spät“. (Außer es ist vielleicht mitten in der Nacht und wir wollen lieber schlafen.
Du kannst dein Kind also ruhig auch „spät“ anlegen. Je länger die Hungerzeichen ignoriert werden, desto unruhiger wird dein Kind wahrscheinlich. Daher ist es sinnvoll das schreiende Baby erst wieder zu beruhigen, zu regulieren, wenn das Anlegen nicht sofort klappt.
Irgendwie war meine Erwartung, dass unser Baby nach der Geburt entweder von selbst zu meiner Brust findet und anfangen würde zu saugen oder eine Hebamme sofort beim Anlegen behilflich sein würde. Blöderweise passierte beides nicht und erst kurz bevor wir den Kreissaal verließen, also ganze zwei Stunden nach der Geburt, kam die Hebamme noch einmal zu uns geeilt, meinte das Baby müsse jetzt trinken, legte es neben meine Brust und drückte Babys Kopf und meine Brust so lange aneinander bis es endlich anfing zu saugen.
Unsere Babys sind Säugetiere und finden theoretisch ganz von allein den Weg zur Brust. Die dunklere Brustwarze und die darum liegenden Duftdrüsen machen es leichter den Weg zu finden. Meist passiert dies in der ersten Stunde, der Golden Hour, und wird Breast Crawl genannt.
Das klassische Anlegen ist aber auch fein, sollte aber mit geduldiger und fachkundiger Anleitung und nicht übergriffig geschehen. Es ist eigentlich niemals notwendig, die Brust in Babys Mund zu drücken.
In den nachfolgenden Stunden stillte ich ausschließlich im Liegen und mein Baby ließ dabei immer wieder los. Da es allerdings trotzdem gleich wieder weiter saugte, dachte ich mir dabei nichts weiter. In der zweiten Nacht wollte es jedoch gar nicht mehr andocken und fing schließlich vor Hunger an zu Schreien. Weder von einer Spritze noch von Milch an meinem Finger ließ sie sich so weit beruhigen, das Stillen möglich gewesen wäre und schließlich ließ ich mich zu einem Stillhütchen überreden. Mit dem Hütchen trank sie auch sofort wieder von der Brust und der Kinderarzt wies mich am darauffolgenden Tag auf ein zu kurzes Zungenbändchen hin. Es wurde noch im Krankenhaus, am Entlassungstag, also 3 Tage nach der Geburt, durchtrennt. Wenn ich mich richtig erinnere war es ein kurzer Scherenschnitt. Nachsorge gab es diesbezüglich keine. Das Stillhütchen wurde ich seitdem trotzdem nicht mehr los.
Leider werden Stillhütchen oft sehr schnell eingesetzt. Und ja, oft, weil Zeit und Geduld fehlen. Und oder auch noch das nötige Fachwissen zur Stillberatung. Das tut mir so leid und ist einfach schade. Manchmal helfen die Hütchen wie hier bei einem Übergang. Aber das Ziel sollte sein: Ohne Hütchen zu stillen. Denn sie haben leider auch viele Nachteile.
Das zu kurze Zungenband kann wirklich ein Problem beim Stillen darstellen, da meist das Vakuum nicht gehalten werden kann und das Baby auch nicht ausreichend Brust fassen kann. Aber auch noch andere Probleme können auftreten. Im Idealfall findet eine Vorbereitung und eine Nachbereitung statt, um ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen. Lass dich hier immer von Fachpersonen gut beraten. Bei der DEFAGOR (Deutsche Fachgesellschaft für Behandlung oraler Restriktionen e.V.) findest du eine Liste mit ausgebildeten Expert*innen.
Bis ich die Wiegenhaltung hinbekam dauerte es ein paar Wochen und als endlich mal alles rund lief, brach bei mit unerwartet rheumatoider Arthritis aus. Der Kommentar eines Allgemeinmediziners lautete dazu, ich müsse mich nun zwischen Schmerzen oder Abstillen entscheiden.
Rheumatoide Arthritis ist eine Gelenkerkrankung, die dreimal häufiger bei Frauen als bei Männern auftritt. Ein sofortiges Abstillen bei einem (erneuten oder ersten) Schub ist nicht erforderlich. Es gibt stillfreundliche Medikamente, die beides ermöglichen: Die Krankheit behandeln und Stillen können. Sprich bitte immer mit den behandelnden Ärzt*innen und lass die Medikation bei Embryotox checken.
Völlig verzweifelt versuchten wir unserem Baby die Flasche schmackhaft zu machen, die es jedoch ebenso wie Schnuller bis heute vehement verweigert. Und damit ging das Schlamassel erst richtig los. Baby verweigerte die rechte Brust und in der Woche darauf die linke Brust. Im Anschluss wollte sie nur noch von mir stehend gestillt werden und das Halten von meinem hungrigen Baby mit fuchtelnden Ärmchen sowie dem Hütchen stellte eine echte Herausforderung da die meistens damit endete, dass wir beide in Milch getränkt wurden.
Das Anlegen bei frühen Hungerzeichen wollte mein Baby in den seltensten Fällen und manchmal schien es sowieso als hätte sie von einer Sekunde auf die andere, unglaublichen Hunger bekommen. Das löste in mir nicht nur immer wieder Gefühle des Versagens aus, sondern ich versuchte auch Stillen in der Öffentlichkeit so gut es geht zu vermeiden, denn was sollten denn die Menschen denken, wenn sie mich beim Versuch des Anlegens eines bereits schreienden und sich windenden Babys sehen?
Das ist total verständlich und gleichzeitig traurig, dass Stillende Angst haben in der Öffentlichkeit angefeindet zu werden. Vor allem, wenn es gerade am Anfang noch nicht so Recht klappen mag. Was wäre denn mit einem schreienden Baby, was warten muss, weil die Flasche noch nicht fertig ist? Würde die Mutter da genauso angeschaut? Ich glaube nicht. Da wäre es ok, denn das Flasche zubereiten dauert eben und da muss es auch mal warten. Das Motto der Weltstillwoche 2024 trägt das Motto „Stillfreundliche Strukturen. Für Alle.“ – ich wünschte keine Mutter, kein Elternteil würde für irgendwas schief angeschaut und bekommt einfach die nötige Unterstützung.
Eine kontaktierte Stillberaterin meinte wir würden alles richtig machen und sie sehe keinen weiteren Bedarf einer Stillberatung, vor allem da das Stillen in der Nacht problemlos verlaufe. Zu diesem Zeitpunkt fing mein Baby jedoch bereits jedes Mal zu schreien an, wenn ich sie in Wiegeposition brachte und wirklich besser wurde die Situation erst, als ich sie zuhause auch tagsüber nur noch im Liegen stillte. Zum ersten Mal erlebte ich wunderschöne und entspannte Stillmomente mit meinem nun bereits 5 Monate alten Baby.
Das Stillen Unterwegs ist jedoch weiterhin problematisch und nur an der linken Brust und in einer komplett ruhigen Umgebung ohne Ablenkung möglich.
Tatsächlich gibt es Babys, die außerhalb des eigenen, ruhigen, kuschligen Nests ohne viel Ablenkung nicht gut stillen.
Ich hätte die Familie nicht abgewiesen für eine Beratung. Nicht, weil ich denke, sie haben etwas falsch gemacht, aber es scheint ja eine Not zu geben etwas verändern zu wollen. Gerade bei einer Vorgeschichte mit Zungenband, Brusthütchen und schwierigem ersten Anlegen würde ich noch mal genau hinschauen wollen, welche Unterstützung noch gut tun würde.
Der Beikost-Beginn brachte ebenso wieder alles durcheinander und Baby verweigerte das Stillen nun komplett. Sie schrie vor, während und nach dem Stillen und mir kamen dabei jedes Mal die Tränen. Nach zwei Tagen ganz ohne tagsüber Stillen verweigerte sie schließlich den Brei und sind nun mit 8 Monaten wieder bei Großteils Stillen und hin und wieder ein paar Löffeln Brei gelandet.
In einer Beratung wäre das für mich ein Grund noch mal genau hinzuschauen, was im Mund los ist. Wurde das Zungenband durchtrennt, wenn ja wie und gab es eine Nachsorge? Es kann tatsächlich auch wieder (ungünstig) zusammenwachsen und erneut Probleme bereiten. Liegen weitere orale Schwierigkeiten vor? Wurde das Kind mal einer auf orale Restriktionen spezialisierten Logopädin vorgestellt, um Schluckschwierigkeiten auszuschließen? Wie wurde die Beikost eingeführt? Was könnten wir hier verändern, um wieder mehr Leichtigkeit zu bringen? Und so weiter. Es lohnt sich also auch später immer noch mal hinzuschauen.
Meine Kombination aus Stillberaterin, Familientherapeutin und Fachkraft für Baby geleitete Beikost ergänzt sich in solchen Fällen immer sehr gut. Eine Weiterbildung zum Thema Zungenband hilft mir ebenfalls weiter. Wenn du Beratung suchst, schau auch immer, welche Weiterbildungen die Personen haben.
Für mich ist Stillen nach diesen Monaten sowohl etwas wundervolles, praktisches und gleichzeitig auch etwas frustrierendes und Energie Raubendes. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich schon längst tagsüber abgestillt hätte, würde sie die Flasche akzeptieren. Allerdings bin ich mir auch sicher, dass ich das Stillen ebenso vermissen werde, wenn es schließlich soweit ist und beides ist okay.
Liebe Aline, tausend Dank für das Erzählen Deiner Geschichte! Ich wünsche Dir alle Liebe, eine gute Stillzeit und ein schönes Ende dafür. Das habt ihr euch beide verdient!
Das Vorbereiten der Stillenden auf das Ende ist mir in der Abstillberatung besonders wichtig. Denn das wird gerne vergessen, weil der Fokus so auf dem Kind liegt. Wenn Du Dich selbst einstimmen möchtest, empfehle ich Dir mein Workbook zum Abstillen.
Alle weiteren Angebote von mir findest du hier!